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Lieber Mensch,
der Spruch ist vollkommen ausgeleiert und doch hat er Bestand: Nobody’s perfect! Wo Perfektionismus an sich überhaupt herkommt, bleibt ein Geheimnis. Nur weißt Du sicherlich auch, dass niemand jemals perfekt sein wird. Allein schon weil es keine wirkliche Definition für einen Menschen gibt, wie dieser nun perfekt aussieht, sich verhält und durch das Leben geht – Meinungen und Werbung hin oder her.
Doch was bringt Dir das Wissen, wenn Du es nicht fühlen kannst? Jeder innere Glaube und jeder Schutzmechanismus basiert auf alten Erfahrungen, nicht auf Wissen. Perfektionismus ist einer dieser Versuche, sich vor allem vor Kritik, Entwertung und Beschämung zu wappnen. Diese Erfahrungen muss es irgendwo in Deiner Kindheit gegeben haben, sonst wüsstest Du ganz genau, dass Du gut bist, wie Du bist. In diesem Beitrag teile ich mit Dir, wann ein Kind sich anpasst, um perfekt – und damit willkommen – zu sein und welche Ausläufer das bis in unser Erwachsensein hat. Zusätzlich beschreibe ich Dir mein Vorgehen, um selbst nicht innerlich an diesem Streben zu verzweifeln.
Perfektionismus ist Anpassungsverhalten, um Liebe zu bekommen
Manche Kinder sind nicht gewollt und kommen dennoch auf die Welt. Allein diese Tatsache ist ein tiefes Nein an einen Menschen, der sich nicht freiwillig ausgesucht hat, gezeugt zu werden. Unschuldig und zart wird ein Mensch abgelehnt, der angewiesen ist auf eine sichere und liebevolle Heimat. Die Eltern sind dabei nicht unbedingt bewusst zu diesem Entschluss gekommen, das Kind nicht zu wollen. Oft gibt es in ihnen Anteile, die das sehr wohl begrüßen. Doch emotionale Lasten und alte Traumata aus der eigenen Kindheit, die in den Eltern nicht aufgeräumt wurden, werden wieder reaktiviert. Das Kind nimmt es alles wahr. Es spürt, wenn etwas nicht stimmt. Es spürt, wenn es von Herzen willkommen oder das Herz zu ist.
Wenn ich nicht sein darf, wie ich bin, muss ich dafür arbeiten!
Die Krux dabei ist, dass wir Menschenkinder alles persönlich nehmen in diesem jungen Alter. Es scheint also mit uns selbst etwas nicht zu stimmen. Noch bevor ein Wort überhaupt gesprochen wird, landet die Information im Zellsystem: „Ich bin falsch, so wie ich bin!“ Es braucht nicht einmal die verbale Untermalung, dass ein Kind bestimmte Erwartungen erfüllen oder eine Rolle bekleiden soll. Natürlich bekommen wir es als Menschen so nochmal deutlicher zu spüren, wenn wir „zu… laut, leise, emotional, anstrengend“ etc. sind, das „falsche“ Geschlecht haben oder einfach „anders“ sein sollen. Erwartungen sind das Gegenteil von Bedingungslosigkeit und lassen ein Kind erfahren, dass es für Zuwendung und Liebe etwas tun muss – und zwar perfekt! Neben der tiefen Erschütterung im Selbstwert, nicht angenommen zu sein, entsteht eine große innere Last. Die eigene Existenz selbst wird mit einem Gefühl versehen, dafür Großes vollbringen zu müssen. Und so ackern wir uns bereits in der Schule und später im Job und in Beziehungen wund, um endlich die Anerkennung zu bekommen, die wir uns so sehr wünschen. Dabei begegnen wir dann entweder Menschen, die diese Elternteile nochmals spiegeln oder wir glauben den Menschen nicht, die es wirklich wohlwollend und ehrlich mit uns meinen. Es bleibt ein Gefühl von ungenügend.
Ich schreibe aus der Wir-Perspektive, da ich annehme, dass Du dieses Gefühl gut kennst. Für mich ist Leistungsdruck ein ständiger Begleiter gewesen. Und selbst wenn der Notendurchschnitt eine 1 vor dem Komma hatte und im Job jeder mit einem zufrieden war, das innere Gefühl der Wertlosigkeit ist geblieben. Privat habe ich dazu oft Menschen in mein Energiefeld gezogen oder selbst erspäht, die mir dasselbe Verhalten meiner Eltern gespiegelt hatten – Ablehnung, Forderungen, kein Miteinander auf Augenhöhe. Jeder Versuch, es allen recht zu machen und so für Harmonie zu sorgen, ist gescheitert. Lange habe ich geglaubt, dass es an mir liegt und mich noch selbst dafür verurteilt. Ich habe so den inneren Glauben noch weiter bestätigt, dass ich nicht gut bin, wie ich bin. Und schon springt die nächste Runde des Perfektionsstrebens an. Ein innerer Teufelskreis!
Perfektionismus ist auch Schutz vor Übergriffigkeit
Mit Übergriffigkeit meine ich nicht das Machtstreben eines Elternteils oder den sexuellen Missbrauch, sondern vor allem die energetische Ebene und das Rollenverhältnis. Wie bereits beschrieben, spüren Kinder die unausgesprochene Energie der Eltern. Darin schwingt auch, ob sie etwas für die Eltern selbst zu erfüllen haben – z.B. innere Nöte oder Einsamkeit ausgleichen. Das kann so weit reichen, dass eine Mutter ihren Sohn als Partnerersatz benutzt, weil der Mann oft nicht da ist – ob nun physisch oder emotional ist dabei egal. Andersrum geht es natürlich genauso. Beide Elternteile können dabei auch sexuelle Energien ausstrahlen, ohne dabei in irgendeiner Weise das Kind schamhaft zu berühren. Dieses Thema ist natürlich sehr intensiv und sensibel. Sollte Du hierzu weiter einsteigen wollen, möchte ich Dir das Buch „Der Lilith Komplex“ von Hans-Joachim Maaz empfehlen.
Wenn ich perfekt bin, lässt Du mich vielleicht in Ruhe!
Ich habe selbst Übergriffigkeit erlebt durch eine sehr dominant-herrische Mutter, die ihre inneren Dramen an mir ausgelassen hat. Für unerfüllte Erwartungen gab es Liebesentzug und es hagelte Verurteilung und Beschämung. Die Elternteile sind dabei oft selbst mit sich und dem Leben überfordert und lassen es an ihren Kindern aus. Ich habe so immer wieder Grenzüberschreitungen erlebt. Perfekt zu sein war hier auch ein Versuch, um meine Mutter von mir fernzuhalten. Wie ein perfektes Gemälde oder eine Statur, die man dann aus Angst, etwas kaputt zu machen, nicht berühren mag.
Da ich aus Sicht des Kindes schreibe, möchte ich vor allem betonen, wie gravierend diese Erlebnisse für die menschliche Psyche sind. Die mit Perfektionismus verbundene innere Wertlosigkeit bedeutet übersetzt kein Glück und keine Liebe dieser Welt einfach so verdient zu haben – und stattdessen benutzt zu werden und dem ausgeliefert zu sein.
Perfektionismus enttarnen – die inneren Stimmen beobachten
Neben dem inneren Unwert entstehen in uns auch innere Anteile, die den Elternteilen ähneln. Oft wird ein Anteil in der Psychologie als innerer Kritiker bezeichnet. Für mich ist das der kritische Anteil der Eltern, der sich in uns bildet und entsprechend tadelnd mit uns spricht. Wenn Du diese innere Stimme kennst, beobachte mal, WIE sie mit Dir spricht. Sind es womöglich die exakten Wortlaute von damals? Es fühlt sich wahrlich an, als wäre das Elternteil in einem drin. In der Psychologie wird in diesem Zusammenhang von Introjektion gesprochen, falls Dich das näher interessiert.
Perfektionismus lässt sich nachhaltig mildern, indem wir mit unserem bewussten Verstand ganz genau beobachten, wann wir in einer alten Schleife laufen.
- Wann wird ein Vorhaben verbissen und krampfig?
- Wo willst Du von jetzt auf gleich hinschmeißen?
- Wie agierst Du in Begegnungen und Beziehungen? Mit einem Gefühl, etwas zu tun müssen oder sein zu dürfen?
- Was ist auch Deine Reaktion auf Komplimente und positives Feedback?
Spürst Du hier vernichtende Ansagen oder eine angebliche Selbst-Verurteilung, kannst Du davon ausgehen, dass hier ein alter Anteil richtet. Ich behaupte ganz klar, dass wir uns selbst niemals selbst fertig machen würden, wenn wir nicht gelernt hätten, wie das jemand mit uns macht.
Wir alle sind wertvolle Wesen von Natur aus. Es gibt nichts, was wir uns erarbeiten oder beschaffen müssen. UND es gibt auch nichts, was abhandenkommt. Dafür hat die menschliche Psyche diese Schutzmechanismen angelegt, um das echte Selbst zu bewahren – weit unten unter den schmerzlichen Erfahrungen und abwehrenden Mustern. Perfektionismus zu enttarnen in all seinen täglichen Facetten ist ein Weg, der zunächst zum Schmerz hinführt. Ihn zu fühlen, bedeutet Befreiung und Verarbeitung dieser alten Lasten. Danach erblüht Dein eigenes Sein und Du wirst spüren, wie sich Stück für Stück Deine Wahrnehmung gegenüber Mensch und Leben verändert.